Soziologischer Standpunkt: «Die Konstruktion moralischer Empörung»

«Kann denn nicht wenigstens einmal auch jemand an die Kinder denken!» – die Figur Helen Lovejoy, aus der Serie «Die Simpsons», illustriert moralische Panik in Reinform. Und genau diese Form der Empörung lässt sich immer wieder beobachten, bei ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Themen. Doch was macht moralische Panik aus? Und was sagt sie über Gesellschaften aus, in denen das Bild des bedrohten Kindes immer wieder aufgegriffen wird?

Die Kolumne erscheint alle zwei Wochen in der Luzerner Zeitung. (Bild: unsplash.com/@andrekaimk)

Dr. phil. Roman Gibel beleuchtet in der Kolumne «Soziologischer Standpunkt» gesellschaftliche Debatten, ihre moralischen Ressourcen und das Phänomen der moralischen Panik. Viele öffentliche Debatten beruhen, so der Soziologe Joel Best, weniger auf tatsächlichen Fällen als auf rhetorischen Strategien, die Empörung erzeugen und Aufmerksamkeit generieren. Gerade bei Themen wie Kindesmissbrauch oder Drogen werden einzelne Vorfälle überbetont und Statistiken dramatisiert. So wird das besprochene Problem als Krise dargestellt – und moralische Panik setzt ein. Denn Bilder wie das des unschuldigen Kindes rufen Emotionen hervor, schaffen Dringlichkeit und eignen sich zugleich, um politische Interessen spielen zu lassen. Doch eine Gesellschaft, die sich zwar lautstark gegen Kindesmissbrauch einsetzt, schützt Kinder damit nicht automatisch besser: Armut, Krankheit oder mangelnde Bildung können in den Debatten nämlich so auch in den Hintergrund rücken. Wie die Konstruktion moralischer Panik zu oberflächlichen Problemlösungen führt, was uns das über aktuelle Debatten zu Wokeness und politischer Korrektheit sagt und wie sich die Simpson Figur Helen Lovejoy eigentlich verhalten soll, um Kinder gezielt zu schützen – die Kolumne zeigt es auf. Zur Kolumne!