Vom Koch, der kein Fleisch essen wollte

Reportage von Carla Wechsler

Religiöse Vielfalt äussert sich in einer Gesellschaft in verschiedensten Lebensbereichen. So auch in der Küche eines Luzerner Restaurants. Das Essensangebot steht dabei in einer Widersprüchlichkeit zum religiös bedingten Essverhalten des Kochs Nithi, denn er verzichtet auf Fleisch und Eier. In der Kurzreportage wird der Arbeitsalltag des ursprünglich aus Sri Lanka kommenden Hindus porträtiert und gezeigt, wie es für ihn ist, als vegetarischer Hindu in einer nicht-vegetarischen Küche zu arbeiten.

"Mein Herz geht dabei wie das Ei kaputt."

Kurz vor dem Mittag steht Nithi, der sich gut vorbereitet und mit Vorfreude auf den Video-Dreh seine Haare geschnitten hat, wartend in der Küche. Er sei bereit, mir seinen Arbeitsalltag zu zeigen. Schritt für Schritt führt er mich gelassen durch seinen Vorbereitungsprozess und erklärt mir anschliessend so genau und geduldig, wie in einem Kochvideo für Beginner:innen, wie er einzelne Speisen vor- und zubereitet. Er holt das Fleisch aus dem Kühler, mariniert es und setzt es auf zum Kochen. Daneben sprudelt bereits siedendes Wasser auf dem Herd. Ein Ei nach dem anderen schlägt er auf und lässt sie in das sich in einem Wirbel bewegende Wasser gleiten. Pochierte Eier zuzubereiten, meint er witzelnd, sei mittlerweile seine Stärke. Er greift zu einem Löffel, probiert das nun fertig gekochte Fleisch und würzt nach. Die Eier nimmt er aus dem Wasser, zögert und legt sie schliesslich beiseite.

Speisegebote im Hinduismus

Im Hinduismus herrscht der Glaube an die Wiedergeburt. Der Kreislauf zwischen Geburt und Tod wird durch Rituale im Alltag geprägt, so zum Beispiel durch Speisegebote. Diese sind nicht verbindlich, sollen aber zu einem guten Karma beitragen. Einige Hindus treffen somit die Entscheidung, auf Fleisch, Fisch und Eier zu verzichten, da das Prinzip des Nicht-Verletzens – in diesem Fall der Tiere – eine grosse Bedeutung trägt und als positive Handlung anerkannt wird. So hat sich auch Nithi dazu entschieden, vegetarisch zu leben. In seiner Tätigkeit als Koch sieht er seinen Aufgabenbereich aber auch darin, Fleischgerichte abzuschmecken und Eier für Speisen zu verwenden. Obwohl dies seinen religiösen Vorstellungen widerspricht, kann es als ein pflichtbewusstes Handeln und als Anpassung an eine ihm früher fremde Gesellschaft verstanden werden.

Religiöser und weltlicher Vegetarismus

Jüngere Generationen versuchen, beeinflusst von der Globalisierung, sich von religiösen Ritualen und Traditionen zu distanzieren. So hat sich auch in der tamilischen Diaspora in der Schweiz vor allem bei der jüngeren Generation das Verhältnis zu Fleisch verändert. Nithi berichtet, dass auch seine Kinder ab und zu Fleisch essen. Gleichzeitig beobachtet er einen neuen Trend – den Vegetarismus. Zum einen finde also eine Anpassung an die Schweizer Gesellschaft statt, indem Fleisch konsumiert wird, und zum anderen aber auch, indem der Trend zum Vegetarismus wiederum aufgegriffen werde.

Heute ist auch der Fleischverzicht bei Nithi von westlichen Ideen beeinflusst, denn der Verzicht ist nebst der religiösen Begründung nun auch seine individuelle Entscheidung für ein gesundes Leben: «Im Alter muss man auf seinen Körper achten», erzählt er mir.

Zur Autorin

Carla Wechsler studiert an der Universität Luzern Kulturwissenschaften und Ethnologie. Im Rahmen des religionswissenschaftlichen Seminars setzte sie sich mit der religiösen Vielfalt in ihrem Umfeld auseinander.

Letzte Anpassung 18.18.2023
Diese Reportage ist Teil des Dokumentationsprojektes Religionsvielfalt im Kanton Luzern des Religionswissenschaftlichen Seminars Luzern.
Parallel wurde sie unter dem Titel "Der Koch, der glaubt" am 28.06.2022 auf der Plattform www.religion.ch veröffentlicht.