Forschungsprojekte
Functioning ist eine grundlegende Dimension der Gesundheit, die jedoch in klinischen Systemen, epidemiologischen Modellen und in der Gesundheitspolitik nach wie vor unterrepräsentiert ist. Unsere Gruppe entwickelt und wendet neuartige statistische und maschinelle Lernmethoden an, um Functioning auf eine Weise zu operationalisieren, die klinisch sinnvoll, skalierbar und für mehrere Ebenen des Gesundheitssystems relevant ist. Ein zentrales Ziel ist die Weiterentwicklung des Konzepts eines Functioning Indicator zur Unterstützung der Entscheidungsfindung auf den Ebenen:
• Mikro (klinische Praxis): Wir entwickeln prädiktive Modelle, die individuelle Rehabilitationspläne unterstützen, realistische Erwartungen an den Genesungsverlauf aufzeigen und die gemeinsame Entscheidungsfindung zwischen Patient:innen und Fachpersonen fördern.
• Meso (Clinical Decision Support Systems): Wir integrieren functioning data in klinische Entscheidungsunterstützungssysteme (CDSS), die Fachpersonen dabei helfen, Risiken einzuschätzen, Ressourcen gezielt einzusetzen und Rehabilitationsverläufe zu optimieren.
• Makro (Bevölkerungsebene): Wir tragen zur Entwicklung indikatorbasierter Messgrössen bei, die auf Functioning aufbauen und traditionelle bevölkerungsbezogene Gesundheitskennzahlen sinnvoll ergänzen. Dadurch wird eine ganzheitlichere Bewertung der Leistungsfähigkeit von Gesundheitssystemen sowie Disability-Trends ermöglicht.
Unsere Forschung basiert auf der Modellierung von Functioning-Verläufen, der Abbildung komplexer Datenstrukturen aus Längsschnittdaten und der Identifikation von Wechselwirkungen zwischen Krankheitsverlauf und Funktionsverlust oder -wiederherstellung. Die entwickelten Methoden kommen bei der Analyse grosser Real-World-Datenquellen zum Einsatz, darunter elektronische Gesundheitsakten, Rehabilitationsdatenbanken und internationale Register.
Die Optimierung von Rehabilitation ist entscheidend, um spürbare Verbesserungen im Functioning und im Wohlbefinden zu erreichen. Unsere Gruppe führt angewandte Forschung durch, um die wirksamsten und zeitlich passendsten Interventionen zu identifizieren, wobei der Fokus auf Evidenz liegt, die direkt in der Praxis anwendbar ist. Zentrale Fragestellungen dieses Forschungsbereichs sind unter anderem:
• Welche Interventionen führen zu den grössten Verbesserungen im Functioning?
• Welche Patientengruppen profitieren am meisten von bestimmten Behandlungen?
• Welche beeinflussbaren Faktoren sind für die Ergebnisse am relevantesten?
• Wann sollten Interventionen erfolgen, um möglichst wirksam zu sein?
• Wie unterscheiden sich die Ergebnisse je nach Rehabilitationssetting (z. B. stationär, ambulant, gemeindenah)?
Wir nutzen prädiktive Modellierung und vergleichende Wirksamkeitsforschung, um Real World Evidence (RWE) zu generieren, die die Versorgung entlang des gesamten Rehabilitationsverlaufs – von der Akutphase bis zur langfristigen Genesung – unterstützt. Diese Erkenntnisse fliessen in die Entwicklung klinischer Leitlinien, die Ressourcenplanung und die patientenzentrierte Versorgungsplanung ein.
Rückenmarksverletzungen (SCI) stehen im Mittelpunkt unserer Arbeit bei der Schweizer Paraplegiker-Forschung. Eine Rückenmarksverletzung ist eine komplexe Gesundheitsproblematik, die das Functioning tiefgreifend beeinflusst. Unsere Forschungsgruppe untersucht:
• Verläufe des Functioning nach einer Rückenmarksverletzung, mit Fokus auf Erholungsmuster und langfristige Ergebnisse.
• Wechselwirkungen zwischen Krankheitsverlauf und funktionaler Erholung, einschliesslich Sekundärkomplikationen und Komorbiditäten.
• Beeinflussbare Faktoren, die mit besseren Rehabilitationsresultaten in Zusammenhang stehen, etwa psychosoziale Unterstützung, frühzeitige Interventionen und der Einsatz adaptiver Technologien.
• Internationale Vergleiche von Ergebnissen und Versorgungsmodellen anhand harmonisierter Datensätze, um länderübergreifende Unterschiede zu analysieren und globale Best Practices abzuleiten.
Diese Arbeit trägt zur individuellen Versorgungsplanung bei und unterstützt darüber hinaus umfassendere Bestrebungen, das Wohlbefinden und die Inklusion von Menschen mit Rückenmarksverletzungen zu fördern.
Im Bereich der Sportrehabilitation wendet unsere Gruppe Functioning-Epidemiologie bei Sportler:innen an, mit besonderem Fokus auf Verletzungsprävention und Return-to-Play-Strategien. Unsere Forschung beschäftigt sich mit:
• Epidemiologie von Verletzungen bei Profi- und Nachwuchssporlter:innen.
• Risikovorhersagemodelle für das Auftreten von Verletzungen und erneutes Auftreten von Verletzungen.
• Prognostische Faktoren für Genesungsdauer und funktionelle Leistungsfähigkeit.
• Übertragung von Evidenz aus Rehabilitation und öffentlichem Gesundheitswesen auf den realen Sportalltag.
• Functioning bei Kindern und Jugendlichen unter Berücksichtigung von Entwicklungs- und Umweltfaktoren.
Unsere Zusammenarbeit mit Spitzensportorganisationen, darunter der FC Barcelona, fördert einen bidirektionalen Austausch zwischen klinischer Forschung und Sportpraxis. Unser Ziel ist es, die Lücke zwischen Leistungszielen und Gesundheitsresultaten mittels datenbasierter Ansätze zu schliessen.
Über alle Forschungsbereiche hinweg legt unsere Arbeit besonderen Wert auf die Nutzung von Real-World-Daten, die Entwicklung klinischer Vorhersagemodelle sowie die Implementierung von Entscheidungshilfesystemen. Diese Bemühungen sind mit den übergeordneten Zielen der öffentlichen Gesundheitsversorgung abgestimmt, darunter der Aufbau inklusiver und effizienterer Gesundheitssysteme sowie die Integration von Functioning als zentrale Messgrösse in der Gesundheitspolitik.
Durch den Aufbau einer Evidenzbasis rund um Functioning möchten wir den Wandel hin zu personenzentrierter Versorgung, reaktionsfähiger Rehabilitationspraxis und aussagekräftigeren Leistungsindikatoren im Gesundheitssystem unterstützen. Letztlich trägt unsere Arbeit dazu bei, das Leben von Menschen mit Gesundheitsbeeinträchtigungen zu verbessern – durch bessere Instrumente, gezieltere Versorgung und stärkere Unterstützungsstrukturen.
Ergänzend zu unserem zentralen Forschungsprogramm beteiligt sich unsere Gruppe an mehreren interdisziplinären Projekten, in denen Functioning-Epidemiologie, Analysen von Real-World-Daten und Systemdenken im Gesundheitswesen auf übergeordnete gesundheitliche Fragestellungen angewendet werden. Diese Projekte spiegeln unser Interesse an den komplexen Wechselwirkungen zwischen biologischen, verhaltensbezogenen und umweltbezogenen Faktoren wider – und deren Bedeutung für die klinische Versorgung sowie die gesundheitspolitische Entscheidungsfindung.
Zirkadiane Rhythmen und Fruchtbarkeit
In Zusammenarbeit mit klinischen und akademischen Partnern untersuchen wir die Rolle zirkadianer Rhythmen und des sozialen Jetlags im Zusammenhang mit Fruchtbarkeitsverläufen. Dieses Projekt erforscht, wie biologische Fehlanpassungen – bedingt durch Arbeitszeiten, Lichtexposition und Verhaltensroutinen – die reproduktive Gesundheit beeinflussen können. Anhand von Daten aus Kinderwunschkliniken und digitalen Gesundheitsplattformen analysieren wir Chronotyp-Muster, Behandlungsergebnisse und den Zeitraum bis zum Eintritt einer Schwangerschaft. Ziel ist es, personalisierte Empfehlungen und Interventionsstrategien für Personen in assistierten Reproduktionsverfahren – einschliesslich der In-vitro-Fertilisation (IVF) – zu entwickeln.
Impfungen und präventive Gesundheitspolitik
Unsere Gruppe leistet einen Beitrag zur Evaluation von Impfprogrammen und präventiven Gesundheitsinterventionen – insbesondere durch die Nutzung von Beobachtungsdaten und quasi-experimentellen Studiendesigns. Wir analysieren Impfakzeptanz, Wirksamkeit und Sicherheit in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und Gesundheitssystemen, mit besonderem Fokus auf vulnerable oder unterversorgte Populationen. Diese Arbeit unterstützt gesundheitspolitische Entscheidungen auf nationaler und internationaler Ebene und zielt darauf ab, die Gestaltung und Chancengerechtigkeit öffentlicher Gesundheitskampagnen zu verbessern.
Pharmakoepidemiologie und Arzneimittelsicherheit
Aufbauend auf unserer Erfahrung in Biostatistik und der Generierung von Real-World-Evidenzen engagieren wir uns weiterhin in Projekten der Pharmakoepidemiologie. Dazu gehört die Nutzung longitudinaler Gesundheitsdaten zur Analyse von Arzneimittelgebrauch, Therapietreue, Wirksamkeit und Risiken unerwünschter Ereignisse. Methodisch liegt der Schwerpunkt auf Verfahren wie Propensity Score Matching, der Nachbildung hypothetischer Zielstudien (Target Trial Emulation) und kausalen Inferenzansätzen, um Verzerrungen in nicht-randomisierten Studien zu minimieren. Viele dieser Projekte überschneiden sich mit unserer Forschung zu Functioning und Rehabilitation, indem sie medikamentenbezogene Barrieren oder fördernde Faktoren für Erholung und Teilhabe untersuchen.
Diese zusätzlichen Forschungslinien bereichern unser zentrales Forschungsprogramm, indem sie biologische, verhaltensbezogene und gesundheitspolitische Perspektiven einbeziehen. Sie stehen exemplarisch für unser Engagement für interdisziplinäre Zusammenarbeit und die Generierung hochwertiger, politisch relevanter Evidenz, die zur Verbesserung der Gesundheit über alle Lebensphasen und Bevölkerungsgruppen hinweg beiträgt.