In dem Vortrag wird folgende Fragestellung einer Philosophie oder Phänomenologie der Trauer aufgegriffen: Was passiert mit dem «Selbst» oder der «Identität» so genannter «Hinterbliebener», wenn ein geliebter Mensch stirbt? Wer jemanden verliert, den sie liebt und der für das eigene Leben von existenzieller Bedeutung war, für den ändert sich nicht nur die Welt, die sich faktisch durch das «Fehlen» eines bestimmten Menschen verändert. Sondern für die Hinterbliebenen verändert sich auch das Weltverständnis und die Weltbeziehung und mit ihr auch das Selbst. Das Selbst wird bei einem so einschneidenden Erlebnis zu einem dissoziierten Selbst, dessen Welt nicht mehr vertraut, sondern erschüttert ist. Die zentrale These des Vortrags ist, dass eine kognitive und emotionale Dissonanz besteht zwischen einem Wissen, dass sich radikal etwas verändert hat, und einem gleichzeitig Nicht-Glauben-Können. Diese Dissonanz soll mit Hilfe nicht-propositionaler Wissens- und Erkenntnisformen erklärt werden («Wissen, wie etwas ist»), die sich das erschütterte Selbst erst durch transformative Erfahrungen mit dieser veränderten Welt neu aneignen muss.

Susanne Schmetkamp ist promovierte Philosophin, freie Autorin und Moderatorin. Von 2019 bis 2025 war sie Assistenzprofessorin an der Universität Fribourg mit einem SNF-Projekt zur «Ästhetik und Ethik der Aufmerksamkeit», zwischen 2008 und 2019 Vertretungsprofessorin, Stipendiatin, Lehrbeauftragte und Oberassistentin an den Universitäten Siegen, Konstanz, Weimar, St. Gallen und Basel. Sie forscht zu Aufmerksamkeit, Empathie, ästhetischer Erfahrung und Trauer. Zu ihren jüngsten Veröffentlichungen gehören die Monografie Theorien der Empathie – Eine Einführung und ein Essay zur Zukunftsorientiertheit der Trauer (Matthes & Seitz).