Station 14
Das Universitätsdebakel von 1978
Der kantonalen Abstimmung der Luzerner Stimmberechtigten vom 9. Juli 1978 zur Errichtung einer Zentralschweizer Universität Luzern ging eine 15-jährige Planungsphase voraus. Vorgesehen waren fünf Fakultäten für Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften und Psychologie, Rechts-, Wirtschafts- und Staatswissenschaften sowie Theologie.
Näheres dazu erfahren Sie im Audiobeitrag oder im vollständigen Text "Das Universitätsdebakel von 1978".
Eines der tragenden Fundamente jeder modernen Gesellschaft ist ihr Bildungswesen. Diese Feststellung traf für die Wirtschaftswunderjahre nach 1950 in ganz besonderer Weise zu. Während dieser Zeit, mitten im Kalten Krieg mit seinem Systemwettbewerb zwischen Ost und West, bildete sich die Wissensgesellschaft heraus. Weit stärker als alle früheren Gesellschaftsformen baute diese auf akademischer Bildung, Forschung und Spitzentechnologie auf. Überall in Westeuropa sahen sich die bestehenden Universitäten einem Massenandrang ausgesetzt. Auch hierzulande platzten sie aus allen Nähten. Neben dem Tessin war die Zentralschweiz die einzige grössere Region in der Schweiz, die über keine eigene Universität verfügte. Diese Entwicklungen blieben in Luzern nicht unbemerkt. Ende Januar 1962 reichte Grossrat Felix Willi aus Hitzkirch mit sechs Mitunterzeichnern eine Motion ein, die von der Kantonsregierung eine Überprüfung der Frage verlangte, ob nicht zur "Krönung all der schulischen Werke unseres Kantons" eine Universität Luzern ins Leben zu rufen sei. Ein gutes Jahr später erklärte eine deutliche Mehrheit im Grossen Rat die Motion Willi für erheblich.
Das war der Startschuss für eine intensive, insgesamt 15 Jahre währende Planungsphase, während der Regierung, Parlament und beigezogene Experten eine auf die spezifischen Bedürfnisse Luzerns zugeschnittene und solide finanzierte Universitätsvorlage ausarbeiteten. Die Zentralschweizer Universität Luzern, die ein Gemeinschaftswerk der Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden und Zug werden sollte, sah fünf Fakultäten für Geisteswissenschaften, Naturwissenschaften, Pädagogik und Psychologie, Rechts-, Wirtschafts- und Staatswissenschaften sowie Theologie vor. Sie sollte maximal 3000 Studienplätze bieten. Am 7. März 1978 stimmte der Grosse Rat dem Universitätsgesetz mit 116 Ja gegen 38 Nein bei 2 Enthaltungen deutlich zu. Während die im Kanton damals tonangebende CVP fast geschlossen für die Universitätsvorlage stimmte, scharte sich nur eine hauchdünne Mehrheit der Liberalen und Sozialdemokraten hinter sie.
Der Abstimmungskampf geriet von seiner inhaltlichen Tragweite zu einem der intensivsten der Luzerner Nachkriegsgeschichte. Schliesslich handelte es sich bei diesem vierten Versuch einer Universitätsgründung um das Prestigeprojekt der zukunftsgerichteten Kreise in der Zentralschweiz. Wie der damalige Erziehungsdirektor Walter Gut immer wieder betonte, sollte eine moderne, das heisst politisch und konfessionell neutrale Universität ins Leben gerufen werden. In einer ungewöhnlichen Kraftanstrengung versuchten die Befürworter, die Stimmbevölkerung für die historische Bedeutung dieser Vorlage zu sensibilisieren: in der Hauptstadt und der Agglomeration ebenso wie in den Landstädten und den Dörfern des Hinterlandes. Dem Motto "Die Uni bringt uns alle weiter" folgend machten sie auf diese "Chance des Jahrhunderts" aufmerksam. Wohl erstmals in einer Frage von übergeordneter Bedeutung für den Kanton empfahlen alle drei grossen Parteien, aber auch die Wirtschaftsverbände und viel Prominenz aus Gesellschaft und Kultur die Vorlage einhellig zur Annahme. Der beeindruckenden Front der Befürworter und ihren gut durchdachten Argumenten konnten die Gegner nichts Gleichwertiges entgegenstellen. Die Nein-Kampagne schürte allerlei dumpfe Ängste, zum Beispiel die vor einer katholischen Universität, einer empfindlichen Steuererhöhung oder einer "linken Soziologen-Brutstätte", die nur arbeitslose Akademiker produzieren werde. Unverhohlen bediente sie Ressentiments gegen die "Herren Doktoren" und gegen "studierte Weltverbesserer", die keine Ahnung von rein gar nichts hätten.
Schliesslich stimmten die Luzerner Stimmberechtigten am 9. Juli 1978 über die Vorlage ab. Es war eine Weltpremiere. Noch nie hatte irgendwo sonst "das Volk" über die Gründung einer Universität befunden. Das Resultat kam überraschend, war aber eindeutig: Bei einer Stimmbeteiligung von 57,2 Prozent verwarfen die Luzernerinnen und Luzerner die Universitätsgründung mit 61’312 Nein gegen 40’093 Ja. Von den 107 Gemeinden des Kantons sagten nur 9 Ja. In allen grösseren Gemeinden und selbst in der Stadt Luzern fand das Projekt keine Gnade. Das Ergebnis war für die Befürworter und ihre Unterstützer in der ganzen Zentralschweiz eine herbe Enttäuschung. Der federführende Regierungsrat sprach gar von einem "historischen Fehlentscheid". Kein Zweifel, das Resultat kam einem Debakel für die zukunftsgerichteten Kreise im Kanton gleich und war ein schwerer Schlag für die Idee einer Luzerner Volluniversität mit fünf Fakultäten. Es sollte etliche Jahre dauern, bis die Universitätsidee in gewandelter Form wiederauferstand.