Station 10
Schritte in die Welt der Wissenschaft
Theologie in Luzern: Von der Priestererziehung zum akademischen Studium
Seit 1889 nutzte die staatliche Höhere Lehranstalt für ihren Unterricht Räume am neu errichteten Priesterseminar an der Adligenswilerstrasse 15 hinter der Hofkirche.
1938 wurde der Höheren Lehranstalt von der Römischen Studienkongregation der Titel "Theologische Fakultät" verliehen.
In den 1960er-Jahren entstanden dank den Impulsen des Zweiten Vatikanischen Konzils in den Jahren 1962 bis 1965 neue kirchliche Berufe, und es studierten erstmals auch Frauen an der Theologischen Fakultät. 1970 erhielt sie von der Kantonsregierung und den römischen Behörden das Recht, akademische Grade zu verleihen.
Näheres dazu erfahren Sie im Audiobeitrag oder im vollständigen Text "Schritte in die Welt der Wissenschaft".
Theologie in Luzern: Von der Priestererziehung zum akademischen Studium
Die staatliche Höhere Lehranstalt nutzte seit 1889 für den Unterricht Räume im Priesterseminar an der Adligenswilerstrasse 15. Das kirchliche Konvikt, das zunächst auch Gymnasiasten aufgenommen hatte, wurde für Priesteramtskandidaten reserviert, sie studierten hier und lebten mit den Professoren unter einem Dach. Damit waren die kantonale und die bischöfliche Einrichtung von aussen nicht mehr zu unterscheiden und traten als Einheit in Erscheinung. Das fehlgeschlagene Universitätsprojekt von 1920 stabilisierte diese Situation. In den nachfolgenden Jahrzehnten profitierte die Schule von einer kirchlichen Blütezeit: Die Schülerzahlen an katholischen Internaten und die Zahl von Priesterweihen erreichten Höchststände. Das Wachstum war auch äusserlich ablesbar: 1896 und 1923 wurde das Seminar mit grossen Anbauten erweitert. Der mehrteilige Gebäudekomplex hinter der Hofkirche erreichte imposante Ausmasse, und weil es sich um einen weitgehend abgeschlossenen Lebens- und Studienort handelte, wurde er umgangssprachlich als "Kasten" bezeichnet.
Die Lehranstalt zählte rund hundert Studenten und erfüllte die kirchlichen Anforderungen, weshalb ihr nach einer Inspektion die Römische Studienkongregation am 24. Januar 1938 den Titel "Theologische Fakultät" verlieh. Die Symbiose von staatlicher Lehranstalt und kirchlichem Konvikt kam beiden Seiten zugute: Sie erlaubte es dem Kanton, die höhere Schule kostengünstig zu betreiben, und sie ermöglichte es dem Bischof, Ausbildung und Erziehung der Anwärter für das geistliche Amt strengstens zu überwachen. In seinen Händen lag faktisch auch die Auswahl der Professoren. Die Situation veränderte sich erst, als 1959 drei Studenten nach einem Disziplinarverfahren aus dem Seminar ausgeschlossen wurden, jedoch weiterhin zum Studium an der Lehranstalt zugelassen waren. In der Folge brach ein Aufsehen erregender Streit aus, an dessen Ende sowohl der Seminarvorsteher als auch der Rektor der Fakultät abgesetzt und entlassen wurden. 1966 trennte der Regierungsrat beide Einrichtungen. Die Fakultät kam provisorisch zunächst in die alte Kaserne, danach ins ehemalige Kantonsschulgebäude am Hirschengraben. Hier standen ihr nurmehr wenige Unterrichtsräume, einige Büchergestelle und zwei Sekretariatszimmer zur Verfügung, zur Hauptsache wurde das Gebäude durch das kantonale Lehrerseminar genutzt.
Die Sechzigerjahre brachten mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil Bewegung in die katholische Kirche; Aufbruchstimmung und Unruhe erfassten auch die Theologische Fakultät in Luzern. Für die Pfarreiarbeit entstanden neue Berufe. Zur Ausbildung von Religionslehrpersonen wurde 1964 ein zweiter Studiengang eingerichtet und im eigens dafür gegründeten Katechetischen Institut untergebracht. Seit dieser Erweiterung waren sowohl Frauen als auch Männer für das Studium eingeschrieben – eine entscheidende Öffnung, deren epochale Bedeutung in der Zeit selbst kaum ausreichend wahrgenommen wurde!
Die Weiterentwicklung zur anerkannten akademischen Einrichtung war eingeleitet: 1970 erhielt die Fakultät durch die Regierung des Kantons Luzern und zugleich durch die Römische Kurie das Recht zuerkannt, akademische Grade zu verleihen. Das Engagement in der Forschung gewann an Profil: Die Fakultät begann mit dem Einwerben von Drittmittelprojekten, der Kanton schaffte Mittelbaustellen und gründete 1981 zwei weitere Institute: eines für Jüdisch-Christliche Forschung und eines für Sozialethik. Einige Professoren wie unter anderem Herbert Haag, Franz Furger, Clemens Thoma oder Victor Conzemius machten sich mit ihren Publikationen über Luzern hinaus einen Namen und trugen so zum Renommee der Fakultät bei. Nach universitärem Muster wurde die akademische Selbstverwaltung eingerichtet: Die Besetzung der 14 Professorenstellen erfolgt seither nach wissenschaftlichen Kriterien und Prozeduren. Die Folge war eine beträchtliche Erweiterung: Hatte das Kollegium während Generationen nahezu ausschliesslich aus Schweizer Männern geistlichen Standes bestanden, wurde es nun üblich, Frauen und Männer unterschiedlicher Nationalität und unabhängig von ihrem kirchlichen Status zu berufen. Am dies academicus 1981 erfolgte die erste Verleihung eines Doktorates honoris causa: Die Theologische Fakultät ehrte die Schwyzer Rechtsanwältin Elisabeth Blunschy-Steiner (1922-2015), welche als erste Frau den Nationalrat präsidiert hatte und damit 1977 höchste Schweizerin gewesen war.