Balthasar Hug, Professor für Community Medicine und Chefarzt Innere Medizin am Luzerner Kantonsspital (LUKS), fragt – Antonius Liedhegener, Professor für Politik und Religion am Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik (ZRWP), antwortet.

(Symbolbild; ©iStock.com/Iryna Dobytchina)

Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. So sah es der Generalmajor und Militärwissenschaftler Carl von Clausewitz (1780–1831). Nackte Gewalt soll herbeiführen, was mit Politik nicht zu erreichen ist. Falsches Heldentum, Elend, Leid und Tod sind die Folgen. Die Terrororganisation Hamas hat die von ihr im Gaza-Streifen errichtete autoritäre Herrschaft genutzt, um Israel herauszufordern. Der kriegsähnliche Überfall der dschihadistischen «Helden» am 7. Oktober und deren menschenverachtende Gräueltaten vor aller Augen waren verheerend für Israel. Mehr als 1300 ermordete Menschen, Hunderte verschleppte Geiseln und die massiven Raketenangriffe haben das Lebensgefühl radikal verändert. Mit dem festen Vorsatz «Nie wieder Opfer sein!» nach dem Holocaust gegründet, will der Staat Israel allen jüdischen Menschen, aber auch seinen nichtjüdischen Bürgerinnen und Bürgern ein sicherer Ort und ein schützender Staat sein. Dieser Lebensnerv wurde getroffen. Entsprechend war die Reaktion: ein Krieg, der auf die Vernichtung der Hamas zielt.

Der asymmetrische Krieg – die Hamas-Kämpfer verhalten sich nicht wie reguläre Truppen, das israelische Militär ist hoch überlegen – lässt den Gaza-Streifen in Schutt und Asche versinken. Die Opferzahlen sind horrend, das Leid der Hinterbliebenen ist erdrückend, die Lebensumstände der Überlebenden sind unmenschlich.

Kriege enden leider nicht durch Argumente und Vernunftgebrauch. Max Schweizer, ein erfahrener Diplomat des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), hat dies, beginnend beim Dreissigjährigen Krieg, für die europäische Leidensgeschichte in seiner «MA RWP Lecture» gezeigt. Kriege enden, wenn eine Seite die Niederlage eingesteht oder erleidet. Kriege enden, wenn beide Seiten erschöpft sind, keine Aussicht auf einen Sieg besteht und Verhandlungen unumgänglich sind. Manchmal enden sie, weil eine dritte Kraft das Schweigen der Waffen der Kriegsparteien erzwingen kann.

Gibt es also keinen Raum für Argumente zur Überwindung von Krieg, Hass und Gewalt? Dem zuzustimmen, wäre fatal. Es gibt Argumente, die gehört sein wollen, wenn Frieden werden soll. Zwei Argumente seien angeführt.

Allgemein muss in Verhandlungen, die mehr bewirken sollen als ein temporäres Schweigen der Waffen, die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung der Bevölkerung beider Seiten zum Tragen kommen. Das absolute Minimum ist die wechselseitige Anerkennung des Existenzrechts. Die beidseitige Anerkennung der allgemeinen Menschenrechte, wie sie die UNO vertritt, wäre ein weiterer Schritt. Das ist die Richtung, wenn konkret eine Zweistaatenlösung gefordert wird.

Um aus Feindschaft in einer absehbaren Zukunft ein friedliches Miteinander werden zu lassen, bedarf es noch mehr. Man muss sich der bisherigen Konfliktgeschichte stellen und die eigenen sozialen Identitäten neu definieren. Im Fall von Palästina und Israel ist insbesondere die Rolle der Nationen und Religionen zu verändern. Nationalismus und religiöser Fundamentalismus, d.h. die Verabsolutierung der eigenen Religion als einzig wahre, erzeugen Vorurteile gegen Menschen anderer Herkunft und Religion. Vorurteile werden zuerst massenhaft gepredigt und verinnerlicht, führen dann zu gruppenbezogenen Diskriminierungen, zu Hass und Unrecht und legitimieren schliesslich religiös-politische Gewalt gegen die «Anderen», die «Ungläubigen», den zu vernichtenden «Feind». Ein Teufelskreis, den sowohl der dschihadistische Islamismus als auch zionistische Ideologien säkularer wie religiös-fundamentalistischer Prägung massgeblich fördern. Solche Ideologien laufen der Menschlichkeit und der Botschaft der jeweiligen Herkunftsreligion zuwider. So utopisch es heute klingen mag: Eine Stärkung der humanisierenden Traditionen im Islam und im Judentum ist eine der Aufgaben, die beide Seiten bald leisten müssen, wenn aus dem Ende des Krieges, das es auf kurz oder lang geben wird, Friede und Versöhnung für beide Seiten werden soll.

Antonius Liedhegener

Antonius Liedhegener

Professor für Politik und Religion am Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik (ZRWP)
unilu.ch/antonius-liedhegener
 

Originalfassung der Frage: «Welches könnten ein, zwei argumentatorische Ausgangspunkte sein, um Friedensgespräche im Nahen Osten zu beginnen?». Im Gefäss «Gefragt? Geantwortet!» stellen sich Forschende im Domino-System disziplinübergreifend Fragen und beantworten diese. Antwort des Fragestellers, Professor Balthasar Hug, auf die vorherige Frage