Als Schweizer (Kloster-) Gymnasien Philosophie­geschichte schrieben

In ihrem SNF-Projekt haben Marco Lamanna und Chiara Paladini untersucht, wie Lehrer in reformierten und Mönche in katholisch-klösterlichen Gymnasien der Zentralschweiz zur Neudefinition eines Bereichs der Philosophie beigetragen haben.

Alte Handschriften aus Schweizer Klosterarchiven bildeten die Grundlage des Forschungsprojektes.

Im 17. Jahrhundert stand die Philosophie in der Schweiz in der Blüte. Reformierte Pädagogen und Mönche, die an katholischen Klosterschulen unterrichteten, beteiligten sich damals rege an einer Grundsatzdiskussion: Schliesst die Metaphysik als Wissenschaft des Seienden und des Seins – oder anders gesagt des Existierenden – auch Gott ein oder nicht?

Klosterarchive belegen Schweizer Impulse

Dr. habil. Chiara Paladini und Dr. habil. Marco Lamanna, Forschungsmitarbeiterin und Forschungsmitarbeiter an der Professur für Philosophie an der Theologischen Fakultät, haben den Weg dieses wissenschaftlichen Diskurses, der letztlich auch beeinflusste, wie Philosophie und Theologie an den Schweizer Gymnasien gelehrt wurde, nachgezeichnet. Dieser Weg war nicht nur intellektuell, sondern auch geografisch von St. Gallen, nach Engelberg, Einsiedeln und St. Urban nachvollziehbar. Die wichtigste Grundlage dafür bildeten Manuskripte aus den Klosterarchiven, allen voran in Engelberg. Einige wichtige Texte, die den damaligen Diskussionen über Metaphysik und Ontologie in der Schweiz einen starken Impuls gaben, wurden dort gesammelt und bis heute aufbewahrt.

Dass die Schweiz überhaupt eine aktive Rolle in diesem Diskurs übernahm, hat das Vorgängerprojekt von Marco Lamanna und Alice Ragni (das von 2016-2019 vom SNF gefördert wurde) belegen können. Der SNF förderte nun auch das Nachfolgeprojekt mit dem Titel «Zwischen monastischer und reformierter Metaphysik. Die schweizerische ‹Wiege› der Ontologie im Zeitalter der Reformation», das nach dreijähriger Forschungsarbeit Ende August seinen Abschluss findet.

Metaphysik im Wandel

Die in den Klosterarchiven wiederaufgespürten lateinischen Handschriften mussten zunächst entziffert werden. Knapp tausend Seiten hat Chiara Paladini transkribiert. Mit den so lesbar gemachten Manuskripten können die Forschenden zeigen, welche Punkte der Diskussion besonders strittig waren und weshalb sich letztlich der Konsens herausbildete, die «Wissenschaft des Seienden und des Seins» neu unter dem neuen Begriff der «Ontologie» zu fassen. Dazu aber ein Schritt zurück.

Seit der Entstehung der Philosophie in der Antike beschäftigte sich die Metaphysik mit den Fragen um das Sein. Dafür entwickelte Aristoteles als einer der Begründer der westlichen Philosophie Kategorien, die der Metaphysik noch heute zugrunde liegen. Mit der Zeit und vor allem im Mittelalter wurden der Metaphysik weitere Kategorien hinzugefügt, wodurch sie um die Wissenschaft von Gott, über Engel und die Ursachen alles Existierenden erweitert wurde. Nunmehr eine Universalwissenschaft beschäftigte sie sich mit allem Realen und allem «transzendentalen», also auch den Dingen, die über das Existierende hinausgehen.

Schweizer Lösung

Im 13. Jahrhundert begann dann aber ein Prozess, der die Wissenschaft vom Sein wieder von der Wissenschaft von Gott trennen wollte. Der im Forschungsprojekt untersuchte Diskurs war der Höhepunkt dieser Bestrebungen und fand international statt. Entgegen bisheriger Annahmen waren die Schweizer Philosophen in den Gymnasien und Klosterschulen in St. Gallen, Engelberg und St. Urban daran sehr aktiv beteiligt. In ihren Schriften schälten sie die strittigsten Punkte heraus und stellten sie zur Diskussion. Damit blieben sie nicht am Rande der Debatten, sondern spielten eine entscheidende Rolle.

Auch die Lösung kam schliesslich aus dem Schweizer Diskurs und lag darin, mit dem neuen Begriff «Ontologie» (abgeleitet von den griechischen Worten «on» seiend, «to» sein und «logos» Lehre) eine neue Disziplin der Philosophie zu begründen, die sich auf die ursprünglichen Themen der Metaphysik – eben das Sein und das Seiende – konzentrieren sollte. Die Metaphysik wurde davon abgetrennt und machte die übergeordneten Ursachen und Prinzipien der Welt zu ihren Objekten.

SNF-Förderung für Philosophische Grundlagenforschung

Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) hat das Projekt «Zwischen monastischer und reformierter Metaphysik. Die schweizerische ‹Wiege› der Ontologie im Zeitalter der Reformation» von 2020-2023 mit 511'000 Franken gefördert. Das Vorgängerprojekt «Metaphysik und Ontologie in der Schweiz im Zeitalter der Reformation (1519-1648)» wurde von 2016-2019 mit 463'020 Franken vom SNF gefördert. Beide Projekte standen unter der Gesamtleitung von Prof. Dr. Giovanni Ventimiglia, Professor für Philosophie an der Theologischen Fakultät.