Dorothee Elmiger (35) hat 2018 ihr Masterstudium der Geschichte und Philosophie abgeschlossen. Viele Fragen der Geschichtswissenschaft stellten sich auch bei dem Schreiben eines literarischen Texts, so die Zürcher Schriftstellerin.

Dorothee Elmiger. (Bild: ©Peter-Andreas Hassiepen)

Dorothee Elmiger, wie sah Ihr beruflicher Weg und Werdegang aus?

Dorothee Elmiger: Mein Werdegang ist nicht sehr geradlinig: Ich hatte mich nach einigen Semestern an der Uni Zürich und einem ersten Studium am Literaturinstitut der Hochschule der Künste Bern gleich wieder immatrikuliert, an der Freien Universität in Berlin, um weiterzustudieren. Dies, weil ich nicht damit rechnete, dass sich ein Verlag finden würde für das Manuskript, das ich damals in der Schublade hatte. Dann interessierten sich aber doch zwei Verlage dafür, und mein erster Roman, «Einladung an die Waghalsigen», erschien schliesslich 2010 im DuMont Verlag in Köln. Ich war in den Jahren danach ständig unterwegs mit dem Buch, reiste zu Lesungen durch Europa, nach Indien, in die USA. Trotzdem blieb immer das Bedürfnis, mir Wissen anzueignen, von dem ich glaubte, dass es mir fehlte, und auch wissenschaftlich zu arbeiten. Als ich aus Berlin in die Schweiz zurückkehrte, setzte ich das Studium in Luzern fort. Parallel dazu schloss ich die Arbeit an meinem zweiten Buch, «Schlafgänger», ab, das 2014 erschien.

Das tönt nach einem sehr vollen Programm …

Die Arbeit an einem Text nimmt in meinem Fall immer ungemein viel Raum ein und verlangt grosse Konzentration; aber auch mein Studium habe ich immer so verstanden, dass da nur so viel drinsteckte, wie ich eben bereit war, hineinzulegen. Dazu kommt, dass ich während der Zeit an der Uni immer auch noch in Nebenjobs gearbeitet habe, um mich über Wasser zu halten. Die Einladung zu einer Lesung in Deutschland oder Österreich wahrzunehmen, bedeutete oft, ein Seminar ausfallen lassen zu müssen. Es war also nicht immer ganz einfach, alle diese Dinge unter einen Hut zu bringen. Aber ich habe die Möglichkeit genutzt, langsamer zu studieren; die vorlesungsfreie Zeit war immer wichtig für meine Arbeit am Text. Und es ist ja auch toll, sich zwischen diesen unterschiedlichen, aber verwandten Feldern zu bewegen. 

Gab es einen bestimmten Grund für den Entscheid, an der Universität Luzern zu studieren? War für Sie die Studienrichtung sofort klar oder wie kamen Sie dahin? Und wie haben Sie Ihr Studium in Erinnerung?

Ich landete eher zufällig in Luzern und dachte dann, ich würde mir die Uni einfach mal anschauen. Ich hatte zuvor in Berlin Politikwissenschaft studiert und dort ganz vorbildlich, wie ich dachte, ganz zu Beginn alle Methodenseminare absolviert. In Luzern beschied man mir dann aber, man könne mir kein einziges davon anrechnen. Das war ein grosses Ärgernis – aber schlussendlich mein Glück, weil ich in der Folge die Politikwissenschaft hinschmiss und zur Geschichte wechselte. Das Lehrangebot des Historischen Seminars sagte mir sehr zu, insbesondere die Veranstaltungen von Professor Daniel Speich Chassé: Ich habe das Geschichtsstudium als grosses Vergnügen empfunden. Den engen Austausch zwischen Studierenden und Lehrenden fand ich toll, im Prinzip auch die Tatsache, dass die Universität so klein und deshalb persönlich ist – wobei ich mir dann manchmal doch auch wieder eine grössere und diversere Uni gewünscht hätte.

Ich habe entschieden, diesem Thema in meiner Masterarbeit nachzugehen, quasi als Vorstudie zu meinem späteren Roman ‹Aus der Zuckerfabrik›.

Womit haben Sie sich in Ihrer Abschlussarbeit beschäftigt?

Ich untersuchte das Zahlenlotto, wie es im 19. Jahrhundert in der Ostschweiz – verbotenerweise – gespielt wurde: Mich interessierte das Spiel vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Strukturen der Region, die zu jener Zeit stark geprägt war von der Textilindustrie, auch der Umgang mit der Zahl, das Verhältnis von Aberglaube, Traum und Wahrscheinlichkeitsrechnung. Es gab eine inhaltliche Verbindung zu meiner literarischen Arbeit: So beschäftigte ich mich in meinem neusten, im letzten Jahr erschienenen Buch «Aus der Zuckerfabrik» unter anderem mit dem ersten Schweizer Lottomillionär von 1979. Deshalb hat mich das Lottospiel interessiert und ich habe entschieden, diesem – notabene auf einen ganz anderen Zeitraum bezogen – in meiner Masterarbeit nachzugehen, quasi als Vorstudie.

Dann konnten und können Sie für die Schriftstellerei also konkret vom Studium profitieren?

Effektiv haben die Fragen, die sich die Geschichtswissenschaft stellt, oft viel zu tun mit Fragen, die sich auch bei der Arbeit an einem literarischen Text stellen: Wie erzähle ich Geschichte(n), aus welchem Blickwinkel, auf welcher Grundlage tue ich dies? Mache ich meine Lücken, meine Hilfsmittel transparent? Erzähle ich ein Ereignis am Beispiel eines einzelnen Menschen, suche ich eine Vielstimmigkeit, wie gehe ich mit meinen Quellen um? Als Autorin arbeite ich sehr oft mit historischen Dokumenten, Archivmaterial; mich interessiert der literarische Umgang mit historischen Episoden, Figuren, Anekdoten. Da bin ich sehr froh, in Luzern viel über den wissenschaftlichen Umgang mit Quellen und über die Recherche im Archiv gelernt zu haben. Dazu kommt, dass insbesondere die Seminare von Professor Speich auch inhaltliche Fragen berührten, die mich als Autorin interessierten und interessieren.

Gibt es einen Tipp, den Sie Studierenden mit auf den Weg geben mögen, z.B. bezüglich Schwerpunktsetzung während des Studiums und gerade auch im Hinblick auf den Einstieg ins Berufsleben?

Ich glaube, es ist keine schlechte Idee, sich Zeit zu nehmen, sich für eine gewisse Langsamkeit zu entscheiden – für ein Tempo, das einem entspricht, auch wenn der Musterstudienplan etwas anderes suggeriert. Und die Fächergrenzen auch immer wieder zu überschreiten: Das würde ich heute sogar noch viel exzessiver tun.

Dorothee Elmiger wurde für jede ihrer bislang drei Buchveröffentlichungen für den Schweizer Buchpreis nominiert, mit «Aus der Zuckerfabrik» stand sie auch auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Am 5. November 2020 wurde sie am akademischen Feiertag der Universität Luzern als «Alumna des Jahres» ausgezeichnet. Der von der ALUMNI Organisation vergebene Preis geht an Absolventinnen und Absolventen, die sich durch ihre Arbeit und ihr Wirken in Gesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft oder Kultur in besonderer Weise bemerkbar machen. Mehr Informationen

Überblick Studienangebot Geschichte im Bachelor und im Master

Das Interview wurde im Rahmen des Jahresberichts 2020 der Universität Luzern von Dave Schläpfer, stv. Leiter der Universitätskommunikation, geführt. Der Bericht steht unter dem Motto «Absolventinnen und Absolventen im Fokus».