Falken wurden von den Mächtigen über Jahrhunderte als Jagdhelfer eingesetzt. An den barocken Fürstenhöfen erhielten sie eine besonders grosse Bühne. Dahinter steckten eine komplexe Logistik und globale Tier-Biografien.

Reglementierte Sicht: Präparat eines am Kaiserhof in Wien zur Jagd eingesetzten weissen Gerfalken mit bestickter Falkenhaube, zirka 1793. (Bild: ©A. Schumacher/Naturhistorisches Museum Wien. Inventar-Nr. 48072)

Am 7. Mai 1714 ereignet sich im Park der königlich-preussischen Residenz von Potsdam Dramatisches. Wie in einem zeitgenössischen Bericht zu lesen ist, wurde der «beste Falcke des Königs» bei seiner Attacke auf einen Reiher hoch oben in der Luft von dessen spitzem Schnabel aufgespiesst, sodass «beyde todt zur Erden gefallen» seien. Friedrich Wilhelm I., untröstlich über diesen Verlust, gab sogleich den Befehl zu einem feierlichen Begräbnis. Der Monarch und die Granden seines Hofes begaben sich «en procession» zum Grabplatz, wo der Vogel «eingscharret» und eine «Ehrenund Gedächtnüs Seule» aufgerichtet wurde. Deren Inschrift bestand aus einem Gedicht in fünf Strophen, das den Heldenmut des «Schwartzen Falcken» besang und dem Gefallenen ewigen Ruhm versprach.

Symbol militärischer Tugend

Das Gedicht, das von der königlichen Hof-Druckerei vertrieben wurde, machte aus dem Schicksal des Jagdfalken ein Modell für die adligen und nichtadligen Untertanen des «Soldatenkönigs»: «Ihr, die ihr Helden-Blut in euren Adern hegt, / Sagt, ob sich solches nicht bey diesem Anblick regt. / Und ob ein jeder sich nicht sollte glücklich schätzen, / Vor einem solchen Herrn sein Leben auffzusetzen.» Lange Zeit, bevor Kampfflugzeuge englisch als «Falcon» oder «Hawk» bezeichnet und trainierte Greifvögel zur Abwehr von Kampfdrohnen eingesetzt wurden, standen Falken also für militärische Tugend und Schlagkraft. In einer Zeit, in der Fliegen auch für ambitionierte Monarchen ein unerreichbarer Traum war, versprachen sie Raumbeherrschung in der dritten Dimension.

Die mit Hauben versehenen Greifvögel lebten teilweise in den Gemächern der Könige und wurden mit diesen auf zahlreichen Porträts abgebildet.

Doch an den barocken Fürstenhöfen des 17. und 18. Jahrhunderts waren Falken noch weit mehr. Die mit Hauben versehenen Greifvögel lebten teilweise in den Gemächern der Könige und wurden mit diesen auf zahlreichen Porträts abgebildet. Sie wanderten als diplomatische Geschenke zwischen den Höfen hin und her und galten als Verkörperung nicht nur von Adelstugenden, sondern auch von königlichem Rang. Insbesondere die grossen nordischen Gerfalken waren ein unerlässliches Statussymbol. In den republikanischen Niederlanden existierte eine Börse, auf der Falken an den meistbietenden Fürsten verkauft wurden. Und ganze Heere von Berufsfalknern sorgten an den Höfen dafür, dass es den anspruchsvollen Vögeln nie an Frischfleisch und Pflege fehlte.

Einfangen, immer wieder aufs Neue

Wenn wir die Perspektive umkehren und nicht nur nach der Nutzung von Jagdfalken durch Adel und Fürsten fragen, sondern anhand von überlieferten Schrift- und Bildquellen sowie Vogelpräparaten auch ihre Biografien zu rekonstruieren versuchen, zeigen sich noch viel weiter reichende Verbindungen. Denn Falken konnten vor der Mitte des 20. Jahrhunderts nicht in Gefangenschaft gezüchtet werden, sondern wurden immer wieder von Neuem als Wildtiere gefangen und dann schrittweise zu Jagdzwecken abgerichtet. Bevor sie in die ausgeklügelten Fallen der Vogelfänger gingen, hatten sie bisweilen bereits Hunderte von Kilometern zurückgelegt.

Sakerfalken etwa brüteten in Zentralasien und wurden auf ihrem winterlichen Durchzug nach Nordafrika auf Malta eingefangen. Von dort aus kamen sie als Geschenke des Grossmeisters der Malteserritter per Schiff und Kutsche nach Versailles zum französischen König. Manche der wertvollen Tiergeschenke erreichten ihr Ziel aber nie, weil die Schiffe in den Herbststürmen des Mittelmeers untergingen oder von Piraten gekapert wurden. Die an den Höfen besonders beliebten weissen Gerfalken stammten ursprünglich aus Grönland. An der kargen Westküste Islands lenkten sie die lokalen Vogelfänger mithilfe von Lockvögeln in ihre Fangnetze. Via Dänemark gelangten sie an die Höfe Europas. Wenn sie dann etwa am Kaiserhof in Wien ankamen, lag eine halbe Weltreise hinter ihnen.

Musikalisch untermalte «Show»

Manche der sensiblen Greifvögel waren von den erzwungenen Reisestrapazen so gezeichnet, dass sie binnen kurzer Zeit verstarben. Jene, die überlebten, wurden von den Hoffalknern schrittweise an die Gesellschaft von Menschen und Hunden gewöhnt und dann für die Jagd abgerichtet. Kooperation konnte nicht erwartet, sondern musste mit Frischfleisch erkauft werden. Erst dann waren die Vögel bereit, unnatürlich grosse Beutetiere wie Reiher und Rotmilane anzugreifen und nach erfolgreicher Jagd auf die mit einem Handschuh geschützte Faust ihres Herrn zurückzukehren. Wenn hinter den Kulissen genügend geübt worden war, wurden die Falken schliesslich auf die grosse Bühne gelassen: Vor dem versammelten Hofstaat attackierten sie ihre Beute hoch oben in der Luft, musikalisch untermalt von Pauken- und Trompetenklängen.

Besonders erfolgreiche Greifvögel wurden auf Porträts mit Angaben ihrer Namen und Taten verewigt – dem Hofadel zum Vorbild.

Die dramatische Inszenierung der höfischen Falkenjagden passte sich ein in eine barocke Hofkultur, welche die Welt selbst als ein grosses Theater begriff. Alle mussten ihre Rolle spielen, auch die königlichen Pferde, Hunde oder Falken. Besonders erfolgreiche Greifvögel wurden auf Porträts mit Angaben ihrer Namen und Taten verewigt – dem Hofadel zum Vorbild. Nicht alle Falken folgten jedoch den von Menschen erdachten Skripts. Immer wieder kam es vor, dass Vögel bei der Jagd, statt sich kühn auf den Reiher zu stürzen, ihrerseits das Weite suchten. Manche wurden Jahre später in anderen Gegenden Europas erneut gefangen und anhand ihrer Metallringe identifiziert. Andere aber entflogen der höfischen Welt und damit auch der überlieferten Geschichte.

Foto Nadir Weber

Nadir Weber

«Eccellenza»-Assistenzprofessor für Neuere Geschichte. In seiner in diesem Herbst an der Universität Luzern angenommenen Habilitationsschrift «The Rulers’ Raptors. Falcons and the Making of Royalty in Early Modern Europe» geht es um die Thematik dieses Beitrags.
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