Professor Malte Gruber mit seiner Lektüre auf der Museggmauer in Luzern. (Bild: Roberto Conciatori)

In bewegten Zeiten, wenn alte Denkgewohnheiten an ihre Grenzen gelangen, beginnt die Suche nach neuen Ideen. Gerne folge ich dann den Spuren einer philosophischen Arbeit, die ich im Lektüreworkshop zur juristischen Grundlagenforschung kennen- und schätzen gelernt habe. Aufbruch des Denkens! Ungefähr so könnte die Losung lauten, die der englische Philosoph und Mathematiker Alfred N. Whitehead (1861–1947) in einem seiner letzten Werke, «Modes of Thought», mit Leben füllt. Anders als die unscheinbare Titelübersetzung («Denkweisen») vielleicht vermuten lässt, geht es dabei nicht um eine beliebige Zusammenstellung unterschiedlicher Vorstellungen und Sichtweisen. Was Whitehead fordert, ist eine neue Art von fantasievollem Denken, das nicht nur rational, sondern vor allem kreativ ist. Denken soll der Schaffung von Neuem dienen. Es soll Perspektiven auf Zukunft freigeben und nicht bloss Wissensbestände verwalten. Solches Denken ist spekulativ und, wenn man so will, auch postmodern. Es wagt sich über sicher geglaubte Gemeinplätze und Doktrinen hinaus. Es ist kritisch, aber konstruktiv. Es gibt sich nicht zufrieden. Und es hört nie auf – als ein grenzenloser, unendlicher Prozess verlangt es viel, vor allem Beweglichkeit im Denken.

Whitehead hat einiges zu sagen, nicht nur zu den Zielen einer Philosophie, die sich eine kritische Haltung bewahren und von konventionellen Denkmustern befreien will. Er kritisiert eine akademische Welt, die sich im Besitz vollständigen Wissens wähne und deren Dogmatismus sich als «Antichrist allen Lernens» erweise. «Die Aufgabe einer Universität ist die Erschaffung von Zukunft», und in ihrer Verantwortung liegt ein Fortschritt, den Whitehead mit der Entdeckung neuartiger Muster kennzeichnet. Die Erfahrung solcher Entdeckungen sollte unser künftiges Leben bestimmen, wenn wir dieses nicht «konform mit dem Durchschnittlichen der Vergangenheit» führen und verlieren wollen. Ausgang aus selbstverschuldeter Konformität: So ist Aufklärung heute zu denken.

 

Cover des Buches "Denkweisen" von Alfred North Whitehead

Alfred N. Whitehead
Modes of Thought
New York 1938 (Erstausgabe)

Malte Gruber
Ordinarius für Rechtsphilosophie und Wirtschaftsrecht mit Schwerpunkt Immaterialgüterrecht und Recht der neuen Technologien