Die Macht der Imagination

Illustriert mit anschaulichen Beispielen zeigte Prof. Dr. Fred Mast in der zweiten Ausgabe der «LUKB-Veranstaltungsreihe», wie unser Gehirn aus Sinneswahrnehmungen das herstellt, was wir für wirklich halten.

Psychologe Fred Mast bei seinem Vortrag (Foto: Simon Leibundgut)

Was wir sehen und hören, was wir schmecken und ertasten können, entsteht in einem raffinierten Zusammenspiel unserer Sinnesorgane und von Prozessen im Gehirn. In seinem Referat im Rahmen der «LUKB-Veranstaltungsreihe» zeigte Prof. Dr. Fred Mast, welch wichtige Rolle bei der Herstellung dieser Wirklichkeit die Imagination spielt.

Unsere Sinnesorgane liefern uns in der Regel ununterbrochen Informationen über die Welt. Hochspezialisierte Rezeptoren in unseren Ohren nehmen Schallwellen wahr, auf unserer Netzhaut empfangen 127 Millionen Fotorezeptoren Informationen, sobald wir unsere Augen öffnen. Doch Schallwellen haben an sich keinen Klang, wie auch das Licht, das auf die Netzhaut trifft, keine Farbe hat. Es ist unser Gehirn, das die von den Rezeptoren empfangenen Signale in das verwandelt, was wir als Wirklichkeit wahrnehmen.

Grüne Nadel und Sturm im Kopf

Die Informationen, die von den Sinnesorganen an das Gehirn geleitet werden, sind bei weitem nicht so eindeutig, wie viele von uns intuitiv annehmen. Sie sind «verrauscht» (also umgeben von Störungen), oft zu langsam und nicht immer eindeutig. Fred Mast zeigte das eindrücklich anhand einer Tonwiedergabe. Denkt man während des Hörens an den Ausdruck «brainstorm», ist man überzeugt, dass dieses Wort gesagt wird. Wer sich allerdings auf die Worte «green needle» einstellt, wird mit der gleichen Überzeugung behaupten, dass in Wirklichkeit diese beiden Wörter gesagt wurden.

Mit diesem und einigen weiteren Kleinstexperimenten, an denen das zahlreich erschienene Publikum gleich selbst teilnehmen konnte, machte Fred Mast erlebbar, dass unser Hirn zwar durchaus Inputs der Sinnesorgane verarbeitet – und das auch nicht willkürlich – gleichzeitig aber auch quasi selbständig uneindeutige Informationen zu eindeutigen Wahrnehmungen verarbeitet. Tatsächlich ist das Gehirn sogar in der Lage, Wahrnehmungen ohne Input der Sinnesorgane herzustellen. Werden wir gefragt, auf welcher Gesichtshälfte sich Marylin Monroes berühmtes Muttermal befindet, erstellt unser Gehirn umgehend ein (mehr oder weniger akkurates) Bild vor unserem «inneren Auge», auf dem wir gleichsam nachschauen können.

Die Statistikerin im «Oberstübchen»

Das Gehirn sei eine gigantische Antizipationsmaschine, postulierte Fred Mast, das stets versuche, der Zeit etwas voraus zu sein. Schliesslich müssen wir beispielsweise sofort entscheiden, ob ein Objekt, das auf uns zufliegt, gefährlich ist oder nicht, ob es mit der Hand abgewehrt werden kann oder ob wir uns besser wegducken sollen. Das Gehirn gehe dabei wie eine Statistikerin vor, so Fred Mast weiter, die aufgrund von Informationen aus den Sinnesorganen den verursachenden Reiz in Echtzeit schätzen muss. Dabei greift es einerseits auf Erfahrungen zurück, anderseits aber auch auf Imagination.

Die Fähigkeit, uns auch weit in der Zukunft liegende Ereignisse vorzustellen, unterscheidet uns klar von Tieren. So ist selbst bei Menschenaffen die handlungsleitende Motivation aus aktuellen Bedürfnissen abgeleitet: Haben sie Hunger, können sie Imagination nutzen, um Strategien zu entwickeln, wie sie eine Banane erreichen. Der Mensch kann sich aber auch weit in der Zukunft liegende Bedürfnisse vorstellen, erklärte Fred Mast, etwa nach finanzieller Sicherheit im Alter. Dieses «imaginierte» Bedürfnis lässt uns dann sparen und auf unmittelbaren Konsum verzichten. Tatsächlich können Menschen sogar Vorstellungen davon, wie es nach dem Leben weitergehen wird, zu Handlungen animieren; Märtyrer etwa glauben für Leid auf der Erde im Himmel belohnt zu werden.

Wenn das Gehirn den Sinnen nicht glaubt

Fred Mast gab in seinem Referat dann auch Einblick in kürzlich durchgeführte Studien. Seine Forschungsgruppe konnte aufzeigen, dass unsere Imagination sogar Einfluss auf physische Bewegungen hat. Stellten sich Probanden in dem Experiment vor, dass einer ihrer Arme gelähmt ist, wurden von aussen gesetzte Impulse, den Arm zu bewegen, vom Gehirn weniger stark oder gar nicht weitergleitet; das Hirn «glaubte» sozusagen seiner eigenen Imagination mehr als den Sinnesorganen auf der Haut, die ja noch immer die Information «hier ist eine Hand» lieferten.

Sein Referat schloss Fred Mast mit einer Warnung zu «Risiken und Nebenwirkungen». Neue Technologien ermöglichen es, unsere Sinne mit immer raffinierteren Tricks zu täuschen. Sogenannte «deep fakes» sind etwa Videos, die von künstlichen Intelligenzen erstellt werden und Menschen Dinge sagen und machen lassen, die diese nie gesagt und getan haben. So sorgte ein solches Video von Elon Musk für viel Gelächter: Er werde sein Geld der Universität Luzern geben,«because they are awesome».

Spezialist für mentale Bilder

Der Psychologe Fred Mast ist auf mentale Bilder, sensomotorische Verarbeitung und visuelle Wahrnehmung spezialisiert und leitet an der Universität Bern die interfakultäre Forschungskooperation «Decoding Sleep», welche die Mechanismen von Schlaf, Bewusstsein und Kognition sowie deren Bedeutung für die Gesundheit ergründet. Ebenda leitet er die Abteilung Kognitive Psychologie, Wahrnehmung und Forschungsmethoden am Institut für Psychologie. Zuvor war er unter anderem wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychologie der Harvard University und ordentlicher Professor für Kognitive Psychologie an der Universität Lausanne.

Als Planungsbeauftragter für die künftige Fakultät für Verhaltenswissenschaften und Psychologie hat Fred Mast auch einen engen Bezug zur Universität Luzern und prägt einen ihrer aktuell zentralen Entwicklungsschritte entscheidend mit. Im Rahmen der LUKB-Vorlesungen war er nun der zweite Wissenschaftler, der Erkenntnisse aus seiner Forschung der Öffentlichkeit präsentiert. Ziel der Vortragsreihe ist es, dem Dialog zwischen Gesellschaft und Wissenschaft wichtige Impulse zu geben und so einen gesellschaftlich relevanten Austausch zu fördern.

Den Abschluss der von Luzerner Kantonalbank (LUKB) und Universitätsstiftung unterstützten Veranstaltung bildete eine von Rektor Prof. Dr. Bruno Staffelbach moderiertes Podiumsgespräch mit Beat Hodel, Geschäftsleitungsmitglied der LUKB.

Impressionen

Fotos: Simon Leibundgut