Drei Fragen an Anke Graness

Prof. Dr. Anke Graness erhält am 6. November 2025 von der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät die Ehrenpromotion. Zu diesem Anlass hält sie einen Festvortrag mit dem Titel «Philosophieren von den Rändern». Die folgenden Fragen geben einen Vorgeschmack darauf, worauf sich die Zuhörerschaft freuen darf.

Prof. Dr. Anke Graness, Ehrendoktorin der Universität Luzern

Anke Graness, Sie listen unter Ihre Forschungsinteressen «die Globale Gerechtigkeit» und der Titel Ihrer Dissertation lautete «Der Begriff der Gerechtigkeit bei Henry Odera Oruka». Was für eine Rolle hat «Gerechtigkeit» in Ihrer Forschung?

Anke Graness: Die Frage nach Gerechtigkeit begleitet meine Forschungen von Anfang an. Ich habe die – vielleicht eher ungewöhnliche – Kombination aus Philosophie und Afrikawissenschaften studiert und früh begonnen, mich für die philosophischen Konzepte und Traditionen dieses Kontinents zu interessieren. Wer sich mit dem afrikanischen Kontinent beschäftigt, muss sich zwangsläufig mit den Auswirkungen von Sklaverei, der europäischen Kolonisierung, des Rassismus und den damit verbundenen Problemen sozialer, ökonomischer und politischer Ungerechtigkeit auseinandersetzen.

Diese Probleme beschäftigen selbstverständlich auch Philosoph:innen aus Afrika, wie den kenianischen Philosophen Henry Odera Oruka, der bereits in den 1980er Jahren Prinzipien globaler Gerechtigkeit entwickelte und die Verantwortung wohlhabender Nationen für ein, wie er es nennt, ‚menschliches Minimum‘ betonte.

Von Fragen nach globaler sozialer Gerechtigkeit hat sich mein Forschungsinteresse in den letzten Jahren zunehmend zur Frage nach epistemischer Gerechtigkeit verlagert, also der Frage, wessen Wissen anerkannt wird und wessen nicht. Die Kolonisierung prägte nicht nur die Wirtschaft und Politik der kolonisierten Länder, sondern beeinflusste ebenso Kunst, Kultur und Wissenschaft – und zwar auch auf Seiten der Kolonisatoren. Kolonisierende Gesellschaften entwickelten Vorstellungen kultureller Überlegenheit und setzten europäische Wissensformen als Norm, was die Wahrnehmung von Wissen bis heute prägt. Umgekehrt wurden aussereuropäische Wissensbestände abgewertet oder vernichtet. Dies hat bis heute Auswirkungen auf die Wissensproduktion – auch in meiner Disziplin, der Philosophie.
 

In Ihrem aktuellen Buch «Philosophie in Afrika, Herausforderungen einer globalen Philosophiegeschichte» zeichnen Sie die Grundlinien einer neuen Geschichtsschreibung der Philosophie. Woran liegt es, dass Afrika in der Philosophiegeschichte so lange vernachlässigt wurde und welche Chancen bietet eine neue globale Perspektive auf die Philosophie?

Es sind nicht zuletzt solche Vorstellungen von einer kulturellen Überlegenheit, die ab dem späten 18. beziehungsweise frühen 19. Jahrhundert dazu führten, dass sich in der europäischen Philosophiegeschichtsschreibung zunehmend ein Narrativ durchsetzte, das den Ursprung der Philosophie ausschliesslich im antiken Griechenland verortete und argumentierte, dass die Philosophie eine genuin europäische Entwicklung sei. Ausgeschlossen wurden dabei nicht nur Afrika, sondern alle aussereuropäischen Regionen, auch asiatische oder arabisch-islamische Traditionen.

Ein weiterer Grund für die Marginalisierung Afrikas in philosophischen Diskursen – die bis heute anhält – ist häufig die Gleichsetzung Afrikas südlich der Sahara mit mündlichen Wissenstraditionen. Diese Annahme ist jedoch unzutreffend, denn Afrika verfügt durchaus über alte Schriftkulturen, nicht nur im alten Ägypten, sondern auch in Äthiopien und anderen Regionen Afrikas.

Zudem ist zu hinterfragen, ob Philosophie notwendigerweise an Schriftlichkeit gebunden ist oder ob die mündliche philosophische Praxis (wie sie z.B. von Sokrates praktiziert wurde) nicht eine weitaus grössere Anerkennung verdient, als ihr im Moment zuteilwird. Diese Diskussion verweist auf die grundlegende Frage, was als Philosophie zu gelten hat und in welchen Praktiken und Ausdrucksformen sie sich manifestiert. Eine globale Perspektive auf die Philosophie macht uns bekannt mit in anderen Traditionen und Sprachen entwickelten Konzepten, wie Dao, Ubuntu oder Ren. Sie sensibilisiert auch dafür, das Philosophieren in seiner ganzen Vielfalt anzuerkennen z.B. als Kunst der guten Lebensführung, in der Askese, in Praktiken der Meditation oder in Praktiken der Konsensfindung, um hier nur einige wenige zu nennen.
 

Die Universität Luzern verleiht Ihnen am 6. November einen Ehrendoktortitel für Ihre Arbeit, diesbezüglich halten Sie einen Vortrag mit dem Titel «Philosophieren von den Rändern». Um der Zuhörerschaft ein kleines Amuse-Bouche auf Ihren Vortrag zu erlauben, eine Frage dazu: Von welchen Rändern werden Sie sich der Philosophie annähern?

Das ist eine sehr gute Frage! Ich spreche in meinem Vortrag von der Perspektive einer Philosophin, die sich mit Themen und Regionen beschäftigt, die in der Philosophie üblicherweise kaum behandelt werden. Allerdings, wenn man eine Ehrendoktorwürde verliehen bekommt, steht man mit seinen Forschungen möglicherweise nicht mehr so ganz am Rande einer Disziplin. Andererseits, an wie vielen Instituten der Philosophie werden afrikanische Konzepte, Traditionen oder Autor:innen unterrichtet?

Im Mittelpunkt meines Vortrags werden Beispiele aus den Philosophien Afrikas und der afrikanischen Diaspora stehen. Zugleich werde ich die Randstellung von Philosophinnen ansprechen – ein Problem, das sich im Übrigen in allen philosophischen Traditionen weltweit nachweisen lässt. Ich möchte dazu anregen, sich für eine Vielfalt philosophischer Traditionen und Perspektiven zu öffnen und die Auseinandersetzung mit aussereuropäischen Philosophien nicht als eine nette Randbeschäftigung zu verstehen, sondern als eine wichtige erkenntnistheoretische Position, die nicht nur neue Denkwege eröffnet, sondern auch unsere eigenen blinden Flecken erkennbar macht.
 

Festvortrag von Prof. Dr. Anke Graness

Datum: 6. November 2025
Zeit: 18:15 Uhr
Ort: Universität Luzern, Hörsaal 5 (EG)

Anmeldung


Dieser Beitrag wurde von Rahel Michelotti, Bachelorstudentin in Kulturwissenschaften und Soziologie, realisiert.