Daniel Speich Chassé, Professor für Globalgeschichte, mit der Single «I Shot the Sheriff» von Bob Marley & The Wailers und derjenigen der Coverversion von Eric Clapton, aufgenommen im Old Town Record Store in Luzern. (Bild: Roberto Conciatori)

Mit einem kurzen Trommeln setzt «I Shot the Sheriff» ein – und die meisten Hörerinnen und Hörer erkennen sofort den Reggae. Das Lied von Bob Marley markiert eine Zäsur der jamaikanischen Musik. Es wurde bereits im nachfolgenden Jahr, 1974, vom britischen Blues-Gitarristen Eric Clapton gecovert. Auch Marleys Karriere nahm in der Folge massiv Schwung auf. Er wurde zum ersten Musik-Superstar der «Dritten Welt».

Die Geschichtswissenschaft ist klassischerweise stark auf Schriftstücke ausgerichtet, aber wir leben in einer multimedialen Welt. Dank der Internet-Technologie sind die Fotografie und der Film wichtige Quellen geworden mit eigenen Zeitschriften, Konferenzen und Archiven. Der Historiker Karl Schlögel hat unter dem Titel «Der Duft der Imperien» kürzlich sogar Gerüche erforscht. Und die Musik? 

Wie die Kunstgeschichte ist auch die Musikgeschichte geprägt von der Annahme eines (europäischen) klassischen Kanons. Wir wissen viel mehr über Bach und Beethoven als über den Reggae und seine Entstehung aus der westafrikanischen Polyrhythmik, aus dem karibischen Calypso, dem Mento und dem Ska gegen Ende der 1960er-Jahre. Die Musikwissenschaft verweist auf den charakteristischen «One Drop» mit der Bass Drum auf dem Backbeat und auf den «Skank»-Rhythmus der Gitarre als Off-Beat. Aber wenn man sich Eric Claptons «I Shot The Sheriff» genau anhört, fehlen viele dieser Elemente.

Aneignung ohne Ende

Popmusik ist historisch interessant, weil sie das Ergebnis vieler kreativer Köpfe ist, die sich Kultur aneignen. Dabei wirken ältere künstlerische Produkte heute bisweilen krass. Im Song «African Reggae» aus dem Jahr 1979 jodelte Nina Hagen zum One Drop und sang: «Was soll ich denn aber in Africa als Frau, als Frau / Wenn der schwarze Mann die schwarze Frau kastriert.» Gleichzeitig feierte Udo Lindenberg mit «Reggae Meggi» den Sexismus.

«I Shot the Sheriff» ist ein Lied über den antikolonialen Widerstand. Es steht am Anfang einer globalen Popkultur. Reggae ist eng mit der Rastafari-Religion verbunden, zum Beispiel in der Kunst von Burning Spear. Der Jamaikaner DJ Kool Herc gilt als Begründer des Hip-Hop und war ab 1973 in New York mit seinem mobilen Sound System unterwegs. Heute ist der Dance-Hall-Style die dominante Reggae-Form mit Musikerinnen wie Spice, der es um die Genderfrage geht. Sie alle scheuten sich niemals, Inspiration von überallher zu nehmen und nach allen Richtungen auszusenden. «I Shot the Sheriff» zeigt, dass Musik eine hybride Kunstform ist, die sich Regeln entzieht, aber besser erforscht werden sollte.
 

Albumcover Bob Marley

Bob Marley & The Wailers
I Shot the Sheriff
1973
Lied anhören (YouTube)

 

Albumcover Eric Clapton

Eric Clapton
I Shot the Sheriff
1974
Lied anhören (YouTube)

 

Daniel Speich Chassé

Professor für Globalgeschichte. Im vergangenen Frühjahrssemester hat er das Masterseminar «Roots, Rock, Reggae. Popmusik als globaler Akteur im 20. Jahrhundert» durchgeführt.
www.unilu.ch/daniel-speich