Alternative Stadtansichten im Postkartenformat

Studierende eines soziologischen Masterseminars konzipierten gemeinsam mit ihrem Dozenten und einem Fotografen eine Postkartenbox mit etwas anderen Luzerner Stadtansichten. Zum Abschluss des Projekts findet ein Event in der Kunsthalle Luzern statt.

«Luzern vor dem Spiegel» von Remo Infanger

Im Seminar mit dem Titel «Eigenhändig fotografieren, eigenständig forschen?» untersuchten Studierende zusammen mit dem Medien- und Kommunikationssoziologen Dr. Sebastian W. Hoggenmüller und dem freiberuflichen Fotografen Felix Amsel die fotografische Darstellung und visuelle Wahrnehmung der Stadt Luzern. Im Anschluss entstand aus dieser Zusammenarbeit eine Box mit 30 Postkarten und kurzen Theoriebeschrieben der insgesamt sechs Fotoprojekte, welche am 21. Mai 2022 in der Kunsthalle Luzern vorgestellt und zum Verkauf angeboten wird (siehe Infobox unten).

Im folgenden Interview gibt Sebastian W. Hoggenmüller, Oberassistent am Soziologischen Seminar, Einblicke in das Seminar und das daraus entstandene Postkartenprojekt.

Sebastian W. Hoggenmüller, das Postkarten-Projekt entstand aus einem Master-Seminar. Was war dessen Inhalt?

Ausgangspunkt des Seminars war eine simple Beobachtung: Sucht man in analogen und digitalen Medien nach gegenwärtigen Fotografien der Stadt Luzern, stösst man immerzu auf sich gleichende Bilder – Luzern wird als touristisches Motiv gezeigt, als idyllische Stadt am See mit Bergpanorama. Mit dem Seminar haben wir die Idee verfolgt, jene etablierten, geradezu selbstverständlichen Fotopraktiken und Sehgewohnheiten systematisch zu hinterfragen und uns selbst von diesen alltäglichen Routinen des Bildhandelns und Bildsehens auf experimentelle Weise zu distanzieren.

Wie haben Sie diese Idee konkret umgesetzt?

Wir haben die Studierenden mit der eigenen Fotokamera auf die Suche nach alternativen Stadtansichten, unscheinbaren Plätzen und ungewöhnlichen Perspektiven geschickt. Sie sollten dazu auf ihren gewohnten Wegen gehen und sich in «ihrem» Luzern bewegen, aber: kontinuierlich mit Blick durch den Sucher der Fotokamera – zumindest sinnbildlich gesprochen. Die Intention dabei war, im eigenen fotografischen Handeln die vertraute Heimat Luzern – in Anlehnung an Helmuth Plessner und dessen philosophischer Anthropologie – «mit anderen Augen» zu sehen, das heisst sich zu «befremden», um letztlich für Neues im Alltäglichen offen zu sein und Unbekanntes im scheinbar Bekannten entdecken zu können.

Die Studierenden konnten also raus in die Welt gehen, statt sich ausschliesslich mit Theorie befassen.

Richtig, im Rahmen des Seminars mussten sie das sogar immer wieder tun. Aber auch während der anschliessenden Projektphase war das stete Wechselspiel von Theorie und Praxis charakteristisch. Denn zum einen konnten die Studierenden die ursprünglich im Kontext der Lehrveranstaltung erreichten Lernziele und gewonnenen Erkenntnisse mit der Erarbeitung einer gemeinsamen Publikation nachhaltig vertiefen. Zum anderen war das Ziel, durch die Planung und Umsetzung der Publikation und des Lancierungsanlasses sowohl berufsrelevante Kompetenzen im Bereich Projektmanagement zu erwerben als auch die Zusammenarbeit mit ausserakademischen Stellen im konkreten Tun zu erlernen.

Warum publizieren Sie nun die Fotografien als Postkarten?

Die Veröffentlichung der Bilder im Postkartenformat soll dafür sorgen, dass die Fotografien des Luzerner Alltags ihren Weg zurück in den Stadtalltag und über dessen Grenzen hinaus finden. Soziologische Forschung an der Universität Luzern, so der dahinterliegende Gedanke, soll nicht nur Gesellschaft untersuchen, sie soll auch gesellschaftlich sichtbar sein. Mit den Postkarten möchten wir also ausdrücklich und ganz konkret dazu einladen, alternative Luzerner Stadtansichten zu versenden und damit etablierte Bildwelten auch auf diese Weise herauszufordern.

Wie haben Sie dieses eineinhalb Jahre andauernde Projekt finanzieren können?

Die Postkartenbox und die Veranstaltung in der Kunsthalle wurden durch verschiedene Stellen grosszügig gefördert. Neben der Universitären Lehrkommission (ULEKO), die sich grundsätzlich für die Weiterentwicklung der Lehre engagiert und innovative Lehrformen fördert, haben uns dankenswerterweise das Dekanat der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät, das Soziologische Seminar und die Fachschaft der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät (KUSO) der Universität Luzern finanziell unterstützt und das Projekt damit erst ermöglicht. Gleichwohl konnten mit den gesprochenen Beiträgen nicht alle Kosten des Projekts restlos gedeckt werden. Um diese Lücke zu schliessen, bieten wir die Postkartenbox zum nun verbleibenden Selbstkostenpreis zum Verkauf an.

Planen Sie weitere Projekte oder vergleichbare Seminare, in denen Studierende solch praktische Hands-On-Erfahrungen machen können?

Ja, unbedingt! Letztes Herbstsemester gab es auch schon eine neue Lehrveranstaltung dieser Art, in diesem Fall im Co-Teaching mit einer ETH-Architektin, thematisch zur Wechselbeziehung von Architektur und Gesellschaft. Und für ein zukünftiges Seminar, das in Kooperation mit einer Luzerner Illustratorin angedacht ist, schreibe ich aktuell die Gesuche. So lange entsprechende Lehr- und Projektangebote zu meinen Arbeitsschwerpunkten und meinem Forschungsinteresse an einer fruchtbaren Verbindung von Kunst und Wissenschaft auf reges Interesse stossen, werde ich diese auch zukünftig anbieten. Die Ideen hierfür gehen mir zumindest noch nicht aus.

Einblick in die weiteren Studierendenprojekte

Präsentation des Projektes

Das Projekt findet mit einer Präsentation in der Kunsthalle Luzern und dem Verkaufsstart der Postkartenbox seinen Abschluss.

21. Mai 2022, Kunsthalle Luzern

10:30 – 12:30 Uhr: Projektpräsentation (Teil I)

  • Vorstellung der sechs Fotoprojekte anhand von Kurzvorträgen, anschliessend Apéro und Möglichkeit für einen Austausch zwischen Publikum und Projektteam

12:30 – 14:30 Uhr: Stadtführung (Teil II)

  • Zwei parallele Stadtführungen durch Luzern vom Verein AbseitsLuzern: Obdachlose führen durch die Stadt und zeigen ihrerseits einen alternativen Blick auf Luzern

Für beide Teile der Veranstaltung gibt es limitierte Plätze, Anmeldungen für einen oder beide Teile sind bis am 20. Mai 2022 bei Sebastian W. Hoggenmüller per E-Mail möglich.

Wer bei der Veranstaltung nicht dabei sein kann, findet die Postkartenbox bei Luzern Tourismus bei portmanngrafik oder kann mit dem Projektleiter, Sebastian W. Hoggenmüller, direkt Kontakt aufnehmen.

Dr. Sebastian W. Hoggenmüller ist Oberassistent am Soziologischen Seminar der Universität Luzern und forscht aktuell im Rahmen seines Habilitationsprojekts zur visuellen Kommunikation von globalen und individuellen Krisen. In seinen materialen Analysen nutzt er unterschiedliche künstlerisch-gestalterische Mittel für die Sinnrekonstruktion visueller Kommunikations­zusammenhänge und untersucht dabei deren Potenziale und Grenzen.

Das Interview geführt hat Valerio Moreno, er studiert Kulturwissenschaften mit Major Soziologie im Bachelor.