Jehovas Zeugen

Die religiöse Organisation der Zeugen Jehovas ist in das Spektrum der christlichen Endzeitgemeinden einzuordnen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts der US-Ostküste erwarteten protestantische Christen die Wiederkehr Christi und hatten mit 1844 ein konkretes Datum benannt. Nach dem Ausbleiben der Wiederkehr suchten der 18-jährige Charles Taze Russell (1852-1916) und Freunde 1870 in der Bibel nach Hinweisen über die Wiederkehr Christi. Sie kamen zu dem Schluss, dass sie unsichtbar sein müsste und zunächst eine Zeit der Ernte auf der Erde anstehe, nicht das Ende der Welt. Auf diese Bibelstudiengruppe geht der frühere Name von Jehovas Zeugen als «Ernste Bibelforscher» zurück. Russells Nachfolger Joseph Franklin Rutherford (1869-1942) wandelte den Namen in «Jehovas Zeugen» um.

Nach Auffassung der Zeugen Jehovas sind die hebräischen Konsonanten J-H-W-H (Jahwe) als «Jehova» zu übersetzen und auszusprechen (die meisten Gelehrten lehnen diese Aussprache ab). 1881 gründete Russell die «Zion’s Watch Tower Tract Society», die in kleinen Traktaten und Zeitschriften die biblische Interpretation der Ernsten Bibelforscher verbreitete. Für 1914 hatte Russell erneut die Wiederkehr Christi vorausgesagt und nach dem abermaligen Ausbleiben und Russells Tod 1916 geriet die wachsende Bewegung in eine Krise. Rutherford als neuer, zweiter Präsident führte die verschiedenen Ortgemeinden zu einer zentralen Organisation zusammen mit dem Anspruch, dass sie «der sichtbare Vertreter des Herrn auf Erden ist». Weitere Erwartungen bezüglich der Wiederkehr Christi für die Jahre 1925 und 1975 blieben erneut unerfüllt. Seither werden keine neuen Jahresdaten mehr benannt.

Zentrale Glaubensgrundsätze von Jehovas Zeugen sind, dass die Bibel inspiriertes Wort Gottes ist, dass Jesus Christus der Erlöser ist und dass Jesus im Himmel 1914 als König unsichtbar inthronisiert wurde. Die Kriege und Umwälzungen der Zeit seien durch die Wegweisung Satans auf die Erde entstanden. Zeugen Jehovas nehmen die Aussagen der Bibel über weite Teile wörtlich und als Anweisungen für persönliches Verhalten und die Lebensführung. Erwartet wird von Zeugen Jehovas als «Diener Gottes» ein Leben in geistiger, sittlicher und körperlicher «Reinheit» inmitten der als «unrein» interpretierten Welt zu führen. Bluttransformationen lehnen Zeugen Jehovas ab, akzeptieren jedoch blutfreie Behandlungsformen.

Jehovas Zeugen sind bekannt für ihre sehr aktive Missionstätigkeit, die sowohl von Haus zu Haus als auch durch «Verkündiger» auf Strassen und Plätzen geschieht. Die Zeitschriften «Der Wachtturm» und «Erwachet!» werden in mehr als vierhundert Sprachen und in einer Auflage von über fünfzig Millionen Exemplaren vertrieben. Die eigene Webseite bietet Informationen zur Bibel in über tausend Sprachen an. Der starke «Verkündigungsdienst» ist in der Auffassung begründet, dass bei der endzeitlichen Schlacht von Armageddon Zeugen Jehovas überleben und die Mehrheit derjenigen, die «Gottes Willen tun», für immer auf der Erde leben werden. Ausserdem glauben sie an eine Auferstehung von den Toten.

Die Anfänge von Jehovas Zeugen in der Schweiz gehen auf eine Vortragsreise von Russell 1891 und die Gründung von Lesekreisen zurück. 1900 kam der in den USA lebende Auslandsschweizer Adolphe Weber auf Vorschlag Russells in die Schweiz und gründete erste Gemeinden und die erste Schweizer Zweigstelle mit Büro und Literaturdepot 1903 in Yverdon. Von 1925 bis 1970 bestand in Bern das Zentraleuropäische Büro, von wo während der Zeit des Nationalsozialismus Literatur nach Deutschland, Polen und andere Länder gelangte. In den folgenden Jahrzehnten wuchs die Zahl der Mitglieder in der Schweiz und beläuft sich heute auf 19’380 Personen (2022), die als «Verkündiger» und «ehrenamtliche Bibellehrer» tätig sind. 2022 waren an der jährlichen Abendmahlsfeier 31’115 Personen anwesend. Die Schweizer Zentrale der 288 Gemeinden befand sich seit 1970 in Thun. 2013 wurde das Zweigbüro Schweiz aufgehoben und dem Zweigbüro Zentraleuropa in Selters, Taunus, D, angeschlossen (ebenso wie Österreich und Luxemburg).

In Luzern ist eine Tätigkeit von Jehovas Zeugen seit 1922 belegt. Gegenwärtig sind über 900 Personen in sieben Sprachen als «Bibellehrer» bzw. «Bibellehrerinnen» im Luzerner Raum tätig.

«Religionsvielfalt im Kanton Luzern» (www.unilu.ch/rel-LU) ist ein Projekt des Religionswissenschaftlichen Seminars der Universität Luzern.
Letzte Aktualisierung: 29. 1. 2024