Nataliia Manko (20), Kateryna Nosova (19) und Oleksandr Rudenko (19) haben ihre Heimat, die Ukraine, aufgrund des fortwährenden Krieges verlassen und studieren als Gaststudierende an der Universität Luzern. Trotz ihrer schwierigen Lage können sie dem Uni-Leben einiges an Positivem abgewinnen.

v. r.: Nataliia Manko kommt aus der Region von Lwiw und studiert dort Rechtswissenschaft an der Nationalen Iwan-Franko-Universität. Kateryna Nosova stammt aus Kiew und studiert Medizin an der Nationalen Medizinischen Oleksandr-Bohomolez-Universität. Oleksandr Rudenko stammt ebenfalls aus Kiew, wo er Rechtswissenschaft an der Nationalen Wadym-Hetman-Wirtschaftsuniversität studiert.

Seit mehr als einem Jahr dauert der Krieg in der Ukraine nun an. Was bedeutet dieser Zustand für Sie?
Oleksandr Rudenko: Die momentane Lage ist sehr schwierig. Russische Truppen befinden sich noch immer auf unserem Gebiet. Darunter leiden natürlich auch viele meiner Freunde in der Heimat. Einige sind verletzt, andere umgekommen. Wir leiden unter der Situation, aber versuchen einander zu helfen, so gut wir können.

Kateryna Nosova: Der Krieg stellt für die Bevölkerung eine grosse Gefahr dar. Fast all meine Freunde befinden sich noch in der Ukraine, und mein Onkel ist bei der Armee. Ich bin mit meiner Mutter in der Schweiz. Wir sind jeden Tag in Sorge. Zu wissen, dass wir hier in Sicherheit sind und unsere Angehörigen nicht, ist sehr belastend. Jeden Tag kann es dein Haus treffen, deine Freunde, deine Familie.

Nataliia Manko: Meine Familie ist auch noch in der Ukraine. Ich habe jeden Tag Angst um sie und verfolge die Nachrichten. Auch mein Vater ist im Militär. Zu wissen, dass meine Angehörigen jeden Tag in Gefahr sind, ist schwierig und macht mich sehr traurig.

«Jeden Tag kann es dein Haus treffen, deine Freunde, deine Familie.»
Kateryna Nosova

Sie sind wegen der Kriegssituation aus Ihrem Land geflüchtet. Wie muss man sich die Entscheidung zu diesem Schritt vorstellen?
Nosova: Das war natürlich ein schwieriger Entschluss. Freunde unserer Familie haben uns geraten, in die Schweiz zu gehen, weil diese als sicheres und stabiles Land gilt.

Rudenko: Ich lebte rund 20 Kilometer von der Front entfernt und mir wurde klar, dass es für die nächsten zwei oder drei Jahre in der Ukraine sehr gefährlich sein wird. Daher habe ich mich entschlossen, mein Heimatland zu verlassen und mein Studium im Ausland fortzusetzen. Dank eines Schreibens meiner Heimuniversität sowie einer Zulassungsbestätigung der Universität Luzern war dies möglich.

Manko: Meine Eltern sagten mir, dass ich irgendwohin muss. Da meine beste Freundin schon hier studierte, riet sie mir, mich ihr anzuschliessen. Immerhin konnte sie mir ein wenig moralische Unterstützung bieten. Also bin ich alleine, ohne meine Eltern, hierhergekommen.

Was bedeutet es für Sie, an der Universität Luzern studieren zu können?
Rudenko: Ich würde sagen, es erfüllt mich mit neuem Leben.

Nosova: Das Studium bringt etwas Ablenkung von allem, was in unserer Heimat gerade passiert, und hilft ein Stück weit, so etwas wie ein normales Leben zu haben.

Manko: Das kann ich bestätigen. Es tut auch gut, an der Uni neue Leute kennenzulernen.

«Es tut gut, manchmal einfach mit jemandem über seine Probleme sprechen zu können.»
Nataliia Manko

Welche Unterstützung erhielten Sie von Seiten der Universität?
Rudenko: Wir hatten zum Beispiel wöchentliche Treffen mit dem Team des IRO [Anm. d. Red.: International Relations Office]. Wir wurden informiert, wie man sich für Prüfungen und Kurse anmeldet und wie auch sonst alles funktioniert.

Nosova: Diese Treffen waren enorm hilfreich. Für uns war ja alles neu. Die Mitarbeitenden des IRO haben uns alles erklärt und gezeigt, wo wir neue Leute kennenlernen können. Auch die Studierenden und Dozierenden sind immer sehr hilfsbereit. Das weiss ich sehr zu schätzen.

Manko: Diese Hilfestellung bedeutet uns sehr viel. In unserer Situation können wir auch die emotionale Unterstützung gut gebrauchen, die uns zuteilwird. Es tut gut, manchmal einfach mit jemandem über seine Probleme sprechen zu können.

Gab es etwas an der Univerisität, was Sie besonders überrascht hat?
Nosova: Ich war positiv überrascht von der Art, wie Vorlesungen und Prüfungen abgehalten werden. An meiner Uni etwa wurde jede Lektion benotet. Entweder gab es eine Prüfung oder die Dozierenden haben direkt Fragen an uns gerichtet. In Luzern herrscht eine angenehme Atmosphäre – auch zwischen Studierenden und Dozierenden. Man kann sich gut und in Ruhe auf sein Studium konzentrieren und merkt, dass die Leute Freude am Studieren haben.

Rudenko: Ich finde, so wie an der Uni Luzern sollte das höhere Bildungssystem aussehen. Gerne würde ich versuchen, einiges davon in der Ukraine einzuführen. Zum Beispiel hat man hier viele Wahlmöglichkeiten an Kursen und Themen. In der Ukraine hingegen haben wir sehr fixe Studienpläne.

Wissen Sie schon, wie es für Sie nach diesem Semester weitergeht?
Rudenko: Nachdem mir klar wurde, was «Krieg» wirklich bedeutet, kam ich zum Schluss, nicht länger als drei Monate vorauszuplanen. Die Situation in der Ukraine, zum Beispiel der Verlauf der Frontlinie, kann sich jederzeit ändern. Sobald es die Umstände zulassen, möchte ich wieder zurückgehen.

Nosova: Ich bin jetzt im zweiten Semester als Gaststudierende hier [Gaststudierende haben die Möglichkeit, ein oder zwei Semester an der Universität Luzern zu studieren; Anm. d. Red.] und weiss noch nicht, wie es danach weitergeht. Es ist sehr schwierig, etwas zu planen. Natürlich würde ich gerne in die Ukraine zurückkehren, aber die Situation ist immer noch sehr gefährlich und beängstigend. Wegen des Krieges sind auch die Bedingungen schlecht, um weiter zu studieren. Gerne würde ich für den Sommer Arbeit in einem Krankenhaus finden, da ich auch in der Ukraine Medizin studierte. Danach werde ich einfach schauen, wie es weitergeht.

Manko: Ich habe aus den gleichen Gründen wie Oleksandr und Kateryna auch keine bestimmten Pläne für die Zukunft. Vielleicht werde ich eine Arbeit finden, weiterstudieren oder einfach meine Deutschkenntnisse verbessern.

«Sobald es die Umstände zulassen, möchte ich wieder zurückgehen.»
Oleksandr Rudenko

Gibt es noch etwas, das Sie den Menschen an der Universität Luzern mitteilen möchten?

Rudenko: Ich möchte den Menschen an der Universität, insbesondere all meinen Freunden hier und den Angestellten des IRO, sagen, dass wir sehr dankbar sind, hier studieren zu können und mit anderen – auch internationalen – Studierenden in Kontakt zu kommen. Man kann sagen, die Uni hat mein Leben verändert.

Nosova: Ich möchte sagen, dass ich sehr dankbar und glücklich bin, hier zu sein. Weiter möchte ich mich bei allen Studierenden, Dozierenden und besonders den Mitarbeitenden des IRO, die uns bei vielen Dingen unterstützt haben, bedanken. Auch dass wir hier Deutsch lernen können, ist etwas, das mir sehr entgegenkommt. Diese Universität hat uns viele Möglichkeiten eröffnet.

Manko: Ich möchte mich auch bedanken für die ganze Unterstützung und die vielen Angebote, die wir neben dem Studium nutzen können. Wir haben Zugang zur Bibliothek, wir können am Sportangebot teilnehmen und an ausserschulischen Treffen neue Leute kennenlernen. Dafür sind wir sehr dankbar.

Früheres Interview mit zwei Studentinnen aus der Ukraine
 

Studierende und Forschende aus der Ukraine

Wenn Studierende oder Forschende aus der Ukraine ihre Arbeit oder ihr Studium an der Universität Luzern fortsetzen möchten, wird in jedem Fall geprüft, wie die jeweilige Person unterstützt werden kann. Anfragen treffen weiterhin laufend ein. Gaststudierende mit dem «Schutzstatus S» durchlaufen ein erleichtertes Aufnahmeverfahren, bezahlen für zwei Semester keine Studiengebühren und können Stipendien sowie kostenlose Deutschkurse in Anspruch nehmen. Zudem werden regelmässig Gruppentreffen und ausserschulische Aktivitäten wie Wanderungen, Museumsbesuche oder Stadtführungen organisiert.

Im Frühjahrssemester 2023 sind 12 Personen aus der Ukraine als Gaststudierende eingeschrieben sowie eine Person, die das reguläre Aufnahmeverfahren durchlaufen hat. Eine weitere Person wurde als «Visiting Researcher» akzeptiert. Seit dem Frühjahrsemester 2022 wurden insgesamt 16 Gaststudierende, zwei  «Visiting Researcher» und eine Person im regulären Studium an der Universität aufgenommen.

Weitere Informationen zu «Solidarität mit der Ukraine» und Kontakt für Betroffene

Daniel Jörg
Mitarbeiter Universitätskommunikation